Meeresschutz ist Klimaschutz
Wie Spanien Europas Meeresschutz in die Zukunft führen kann
Nicht weniger als acht Walarten gibt es in diesen Gewässern – darunter manche der größten Meeressäuger, wie Finn- und Pottwale. Aber trotz Walkorridor: Sicher oder gar ungefährlich ist die Passage für Wale und Delphine nicht. Denn gleichzeitig verlaufen hier wichtige Schifffahrtsrouten, die zu intensivem Verkehrsaufkommen auf See führen. Basierend auf Daten des spanischen Verkehrsministeriums fuhren alleine im Jahr 2019 etwa 125.000 Handels- und Kreuzfahrtschiffe spanische Mittelmeerhäfen an. Die großen Schiffe verursachen konstanten Unterwasserlärm, der Wale und Delphine massiv gefährdet. Der Walmigrationskorridor ist seit 2016 als Lärm-Hotspot identifiziert. Und Schiffskollisionen enden für die imposanten Pott- und Finnwale regelmäßig tödlich. Es liegt auf der Hand: Ein Meeresschutzgebiet bietet erst dann echten Schutz, wenn die notwendigen Maßnahmen zum Schutz seiner Lebewesen greifen.
Unterwasserlärm ist als kritische Umweltverschmutzung anerkannt, er ist menschengemacht – und er ist vermeidbar.
Ein effizientes Lärmmanagement ist notwendig, zumal eine Zunahme des Schiffsverkehrs in den kommenden Jahren erwartet wird. Um die Balearen zu einer Quiet Zone zu machen, entwickelte OceanCare nun ein konkretes Maßnahmenpaket, das den Schutzcharakter des Walmigrationskorridors nachhaltig verankert. Es richtet sich an die spanische Regierung, die verpflichtet ist, in den kommenden Monaten einen konkreten Managementplan für das Schutzgebiet vorzulegen. „Hier besteht die einmalige Gelegenheit, messbar Lärmemissionen zu reduzieren und ein intensiv genutztes und befahrenes Gebiet von einem Lärm-Hotspot in eine Ruhezone zu verwandeln. Der Walmigrationskorridor könnte zum ‚Best-Practice-Meeresschutzgebiet‘ werden“, so Nicolas Entrup, Co-Direktor für Internationale Zusammenarbeit bei OceanCare. „Damit würde Spanien zu Europas Vorreiter im Management von Meeresschutzgebieten aufsteigen“, stellt OceanCare-Campaigner Carlos Bravo in Aussicht.
Gefahr Unterwasserlärm: Die größten Lärmquellen im Meer sind der Schiffsverkehr und die Öl- und Gasexploration. Schiffe erzeugen insbesondere durch den Propeller tieffrequenten Schall, der sich über enorme Entfernungen in alle Richtungen ausbreitet. Bei der Suche nach Öl- und Gasvorkommen im Meeresboden sind Schallkanonen im Einsatz, die alle 10 bis 15 Sekunden über Wochen hinweg Schall in einer Intensität von bis zu 260 Dezibel emittieren. Auch militärische Aktivitäten, darunter Explosionen und der Einsatz aktiven Sonars, sowie industrielle Arbeiten bei der Verlegung von Unterwasserkabel und Pipelines und Rammarbeiten, Wassersport und Fischerei belasten das Meeresschutzgebiet akustisch. Das Problem: Geräusche sind lebensnotwendig für die meisten Meerestiere, um ihre Beute aufzuspüren, zu kommunizieren und sich zu orientieren. Menschengemachter Lärm maskiert diese natürlichen Geräusche, er verursacht bei Meerestieren Hörschäden und Stress, bis hin zu körperlicher Verletzung oder Tod. Unterwasserlärm gilt als eine der größten Bedrohungen für Meereslebewesen.
Die Lösung: Die wichtigste Maßnahme ist schlicht eine langsamere Schifffahrt im Walmigrationskorridor. Fährt ein Schiff ein Zehntel langsamer, gibt es 40 % weniger Lärm ins Meer ab. Ein Tempolimit ist auch der einfachste und kosteneffizienteste Weg, die Treibhausgasemissionen von Schiffen zu verringern: Drosselt ein Schiff sein Tempo um 10 %, stößt es rund 13 % weniger CO2 aus, fährt es ein Fünftel langsamer, sinken die Emissionen um knapp 25 %. Ebenfalls ein messbarer Beitrag zum Klimaschutz.
Gefahr Kollisionen: Der Zusammenprall mit einem Schiff ist die Haupttodesursache von Finnwalen im Mittelmeer. 2000 Mal in den Sommermonaten und 700 Mal im Winter riskieren Finnwale im nördlichen Mittelmeer (1) mit einem Passagier- oder Frachtschiff zusammenzustoßen, schätzen Wissenschaftler. Auch Pottwale sind extrem gefährdet, denn sie müssen zwischen ihren tiefen Tauchgängen Ruhephasen von etwa 10 Minuten an der Wasseroberfläche verbringen. Je schneller die Schiffe unterwegs sind, desto größer ist das Risiko einer tödlichen Kollision für die Wale.
Die Lösung: Auch hier punktet ein Tempolimit. Fahren Schiffe nur ein Zehntel langsamer, sinkt die Gefahr eines tödlichen Zusammenstoßes für Wale um 50%. Für Schutzgebiete wird ein Tempolimit von 10 Knoten empfohlen. Zusätzlich sollte das von OceanCare entwickelte Ortungssystem von Zahnwalen eingesetzt werden, um Schiffskapitäne vor Kollisionen mit Pottwalen zu warnen.
Weitere Maßnahmen betreffen militärische Operationen und ein Verbot mittel- und niederfrequenter Sonarsysteme. Außerdem macht OceanCare weitreichende Vorschläge zu mineralgewinnender Industrie, Unterwasserkabeln und Pipelines, lärmerzeugender Fischerei, Tourismus und Verhinderung aller Arten von Wasserverschmutzung.
OceanCare-Empfehlung: Um eine echte Perspektive für ein lebendiges Mittelmeer zu schaffen, empfiehlt OceanCare, das gesamte nordwestliche Mittelmeer vom Walmigrationskorridor bis inkl. das Ligurische Meer zu einer besonders sensiblen Meeresregion (PSSA – Particular Sensitive Sea Area) zu erklären. Aktuell formulieren die Regierungen Spaniens, Italiens, Frankreichs und Monacos einen solchen Antrag an die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO).
Spanien nimmt Kurs auf den Meeresschutz
Der Walmigrationskorridor ist 46.388 km² groß, rund 85 km breit und verläuft zwischen der katalanischen und valencianischen Küste und dem Balearen-Archipel. Das Verbot der Öl- und Gasexploration war der Grundstein für eine wirksame Meeresschutzzone vor den Balearen und ein erster Erfolg. Um das Pariser Klimaziel zu erreichen und die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren, hat Spanien im „Gesetz zum Klimawandel und zur Energiewende“ bereits im Mai 2021 festgelegt, keine weiteren Konzessionen für die Öl- und Gassuche zu erteilen. Die letzte Konzession läuft Ende 2042 aus. Der Einsatz von Airguns, Boomern, Sparkern und anderen aktiven Sonarquellen mit hoher Amplitude wie Multibeam- und Side-Scan-Systemen ist verboten.