Tauchen mit Handicap? So kann es funktionieren...
„Ich lasse mich nicht einschränken. Ich will tauchen!“
Stell dir vor, du hast eine Traumreise gebucht, tauchen mit deinem „best buddy“, nach jahrelanger Tauchabstinenz, da dir andere Aufgaben ins Leben gespült worden sind. Und dann macht dir eine Diagnose einen Strich durch die Rechnung…
Bali sollte es sein, zusammen mit einer meiner besten Freundin, erfahrene Taucherin, Bali-Fan, reisefreudig und wie ich in voller Vorfreude auf zwei Wochen Rundreise mitsamt Tauchen an den wichtigsten Spots. Die Planung steht, Flüge und Hotels sind gebucht, ich frische meine nach 20 Jahren etwas eingeschlafenen Tauchkenntnisse mit einem ReActive im örtlichen Schwimmbad auf und bin bereit. Die Kinder zuhause sind während der Zeit bestens betreut, alles ist geregelt, die Vorfreude steigt. Me-Time vom Feinsten, wohlverdient. Ab nach Bali. Aber es kommt anders. Mein Körper spielt plötzlich verrückt, nach einer Ärzte-Odyssee steht die Diagnose „Multiple Sklerose“ fest und stellt mein Leben auf den Kopf. Eine unheilbare Erkrankung des Zentralen Nervensystems, Fortschreiten wahrscheinlich, Ausgang ungewiss. „Kann ich trotz MS tauchen?“, frage ich den Arzt am Tag der finalen Diagnose. „Schränken Sie sich nicht ein“ war seine gleichermaßen simple wie grandiose Antwort.
Und ich lasse mich nicht einschränken! Weder von meiner Erkrankung, zu der sich noch einige andere körperliche Einschränkungen hinzugesellt haben, noch von anderen widrigen Lebensumständen. Ich will tauchen! Ich will reisen! Jetzt erst recht!
Fast acht Jahre ist das jetzt her. Seitdem bin ich viel gereist, viel getaucht, habe mich viel mit dem Thema Tauchen mit Behinderung auseinandergesetzt, einen Blog dazu gestartet, etliche Interviews gegeben, bin hier und da Gast in Podcasts, manchmal sogar live und in echt auf der Bühne wie bei der RehaCare in Düsseldorf. Ich bin im örtlichen Tauchverein fürs NoLimits-Tauchen für Menschen mit Behinderung verantwortlich, organisiere Events, um mehr Menschen überhaupt auf die Idee zu bringen, mit körperlichen Einschränkungen zu tauchen. Und ich habe mit über 50 Jahren auf den Schultern und meiner Erkrankung im Gepäck die Ausbildung zur Tauchlehrerin gemacht. Auch den Adaptive Diving Speciality Instructor, versteht sich.
Aus der geplanten Bali-Reise ist übrigens nichts geworden. Da hat uns kurzfristig der Mount Agung, der seinerzeit brodelte und die gesamte Götterinsel lahmlegte, zum Umbuchen gezwungen. Wir sind dann kurzerhand auf die Philippinen geflogen, wo meine Leidenschaft fürs Tauchen wieder neu entfacht wurde. All meine Sorgen, Ängste, ja auch Schmerzen, die ich seit meiner MS-Diagnose fünf Monate zuvor durchlebt hatte, waren während der Tauchreise weg. Einfach weg. Zuhause gelassen.
Tauchen mit Behinderung? Yes, you can!
Im Jahr danach war ich auf meiner ersten Tauchsafari in Ägypten. Ich reiste mit dem Vorsatz an, mich nicht zu sehr zu stressen, auch mal einen Tauchgang auszulassen. Einfach zu genießen, dass ich wieder eine Woche raus sein kann aus meinem Alltag zuhause. Was soll ich sagen: Ich habe letztlich keinen einzigen Tauchgang ausgelassen, jede Sekunde unter Wasser – wie auch in der wunderbaren Gesellschaft unter Tauchern auf dem Schiff – genossen. Und als ich auf dem Nachbarschiff einen Mann im Rollstuhl auf dem Tauchdeck beobachtet habe, wie er sich selbstständig fürs Tauchen fertig gemacht, sich aufs Zodiac gehievt und dort samt Handflossen auf seine Buddies gewartet hat, da ist ein Knoten geplatzt: Ja, du kannst auch mit Behinderung tauchen. Warum auch nicht? Seither ist das mein Leitspruch: Yes, you can!
Gerade in Ägypten habe ich seither so viel Positives erlebt – es wird dir überall geholfen, wo du Hilfe brauchst. Ganz selbstverständlich. Und wo es mal keinen barrierefreien Zugang gibt, meist der Weg aufs Boot, dann wird eben angepackt, mit viel Erfindergeist eine Rampe gebaut oder aus Tüchern eine Art Seilwinde. Alles ist möglich!
Vorbild Wasserschildkröte
Die Natur macht uns so einiges vor. Hast du schon mal eine Wasserschildkröte beobachtet, wie sie sanft durchs Wasser gleitet? Wer genau hinschaut, bemerkt, dass sie ausschließlich ihre Vorderbeine bewegt. Die nimmt sie zum Schwimmen, während ihre Hinterbeine als Ruder dienen, zum Steuern durch das Blau. Auch Taucher brauchen keine Beine. Was sie aber brauchen: Helfer! Tauchen funktioniert wunderbar auch mit einer Gehbehinderung, mit Querschnitt, Beinamputation, ohne Beine… aber mit Helfern. Je größer die körperliche Einschränkung, desto mehr Hilfe braucht es. So einfach ist das. Und die Gleichung kann aufgehen, wenn sich mehr Tauchbegeisterte auch Menschen mit Behinderung öffnen.
Jeder zertifizierte Taucher kann sich zum Tauchbegleiter für Menschen mit Behinderung ausbilden lassen. Und für die Pros gibt es Spezialisierungen zum Adaptive Techniques Diver. Man lernt dabei den Umgang mit Tauchern mit besonderen Bedürfnissen, simuliert selbst verschiedene Behinderungen beim Tauchen und lernt spezielle adaptive Techniken. Meine Mission ist es Menschen mit Handicap Mut zu machen, in unsere wunderbare Unterwasserwelt abzutauchen. Und Tauchcenter sowie Tauchlehrer zu inspirieren, adaptive Techniken zu erlernen und das Handicaptauchen anzubieten. Damit wir alle gemeinsam so lange wie möglich die wunderbare Unterwasserwelt genießen können. Langsam dahingleitend wie „turtles“.
Autorin: Nicole Kraß